Glück zum Selbermachen

Ins Glücklichsein hineingetrickst: Die sanfte Manipulation der Glücksfilter im Gehirn stimuliert zu deutlicherer Wahrnehmung von Gut und Schlecht.
Glück zum Selbermachen - ein Rezept für das Leben mit Kindern.

Am Abend liegen die Kinder im Bett. Essen, baden, Zähne putzen, mit Mama Danke-lieber-Gott-für-den-Tag sagen, Papas Gute-Nacht-Lied singen, Schlafen. Theoretisch.

In Wahrheit geht es dann eigentlich erst mit den großen, weltbewegenden Gedanken los. Wer heute böse war, wer heute gelogen hat, wer welches Schimpfwort zu wem gesagt hat, wer den Bagger „weggesnatched“ hat, wer den kleinen Lord mit einem Stecken „geschwertet“ hat und warum die kleine Lady „keine Liebe mehr im Herzen“ hat, wenn ich ihr das Geschichten-vom-Franz-Buch wegen grober Überschreitung der eigentlichen Bettzeit – aus welchen Gründen auch immer – nicht vorlese.

Abends bin ich – und ich schätze, dass es vielen anderen Eltern auch so geht – ein Druckkochtopf. Aus dem letzten Loch pfeifend. Da liegt schon so viel Anstrengung hinter mir, alle möglichst glücklich zu machen und den Tag friedvoll verbracht zu haben, dass ich es wirklich nur äußerst schlecht ertrage, dass mein Investment in die Entstehung guter Tage, die aneinander gereiht so etwas wie „eine schöne Kindheit“ mit „immer was los“, „viel gekuschelt“, „Mama hat uns immer vorn angestellt“, „so lecker gekocht“, „hat nur nein gesagt, wenn es notwendig war“, „hat Zeit für uns gehabt“, „hat uns zugehört“, „hat ihr Handy weggelegt, wenn wir sie geschimpft haben“, „hat sich entschuldigt, wenn sie was falsch gemacht hat. Oft.“, „uns immer abgeholt, wenn und wann sie gesagt hat, dass sie kommt“, „ist spontan mit uns Kastaniensammeln gefahren, wenn ein Sturm sie von den Bäumen gefegt hat“ ergeben sollen, zunichte gemacht wird.
Fragt mal eure Kinder: „Wie war Dein Tag?“, wenn ihr sie gerade unter Boxen und Toben ins Bad gebracht, Zähne geputzt und in den Pyjama gesteckt habt, obwohl sie noch „was schauen“, „was spielen“, „was basteln“, das Freundebuch von C. ausfüllen UND ein Buchkapitel vorgelesen haben wollten.

„Ganz schirch“, sagt die kleine Lady.
„Ccccchhhhh. Lass mich“, faucht der Lordosaurus.

Hurra. Da freut sich das Elternherz.

Hurra. Da freut sich das Elternherz.

Hand aufs Herz. Eigentlich ist es ja zum Schmunzeln. Wenn man es liest. Oder wenn es die anderen Eltern erzählen. Aber wenn man mitten drin ist, merkt man, dass der innere Akku zwischen Vom-Spielplatz-Kommen und Licht-aus im Kinderzimmer von halb voll auf 5 % absackt. Im Englischen sagt man: „It’s draining“. „The drain“ ist der Abfluss im Waschbecken oder der Wanne, der mit Sogwirkung nach unten zieht und flutsch ist alles weg. Genauso fühlen sich manche Tage streckenweise an.
Andere Eltern stecken das bestimmt leichter weg. Andere denken sich: „Sind ja Kinder“, oder haben ihre Mitte im Elternsein mehr gefunden (als ich – gelegentlich). Bei anderen Kindern denke ich mir das auch. Bei den eigenen funktioniert das mit der Ratio nicht so. Mich nimmt das – an manchen Tagen sicherlich mehr als an anderen – mit. Klar denke ich auch: „Ja, was willst? Es sind Kinder und die denken nicht so differenziert darüber nach, was sie sagen oder was sie damit bei mir auslösen.“ Und ich weiß auch, dass sie der Machtlosigkeit, gegenüber unserer Entscheidung, wann sie ins Bett zu gehen haben, ihre absolute Macht der Worte gegenüberstellen. Unbewusst.

Irgendwann haben wir die scheinbar reflexartige Antwort „Nein war’s nicht“ auf die elterliche Feststellung „Das war ein schöner Tag“ satt gehabt.

Glück entsteht im Kopf. Die Fähigkeit, Glück zu erleben, kann man lernen. Nicht umsonst heißt es „Count your blessings not your worries“. Ich bin davon überzeugt, dass man Kindern (auch schon im Alter von 3 und 5 Jahren) das Differenzieren zwischen einem „schirchen Tag“ und „einem schirchen Moment in einem schönen Tag“ beibringen kann. Und ich glaube außerdem, dass es nie zu spät ist, um damit anzufangen, sich auf die guten Sachen zu konzentrieren und damit die eigene Wahrnehmung des Guten zu verändern.

Glück entsteht im Kopf.

Darum haben wir vor etwa eineinhalb Jahren einen neuen Plan entworfen.

Wir haben die Frage verändert. Im Bett liegend sage ich nicht mehr: „Ui, das war ein schöner Tag“ (nur um dann um die Ohren geschleudert zu bekommen, dass die beiden das gar nicht finden), sondern frage: „Was war heute nicht so gut?“

„Dass wir nicht noch was naschen durften“, kommt dann vielleicht die Antwort.
„Und was war das Beste?“
„Kastanien sammeln.“

Anfangs hat es ein bisschen gebraucht, bis sie das Beste und das Schlechteste identifizieren konnten, weil der Tag nur als schwammige Masse hinter ihnen lag. Nicht nur ich musste mich auf die veränderte Frage einstellen, sondern auch von ihnen war das Auslesen einer neuen Information aus der Erinnerung gefordert. Mit jedem Abend klappte es ein Stück besser.
Heute sagt die Lady manchmal: „Du hast mich noch nicht gefragt, was das Beste heute war. Und das Schirchste“. Und der kleine Lord, der im zwischenmenschlichen Taktieren und philosophischer Konversation noch nicht so bewandert ist, plappert drauf los: „Weißt Du was heute blöd war?“ „Was denn?“ „Dass der S. [im Kindergarten-Garten] einen großen Traktor genommen hat und nicht ihn nicht haben konnte. Aber ich wollte.“ „Oh je, dann hoffe ich, dass morgen einer frei ist. Und was war heute das Beste?“ „Dass ich die Badekugel ausgesucht hab.“

… und man sieht förmlich, wie sie mit diesem Ritual den Tag verabschieden und zurück in die Hände desjenigen legen, der ihnen diese Frage gestellt hat.

Kinder freuen sich über Kleinigkeiten und ärgern sich über Kleinigkeiten. Sie zählen nie fünf Dinge auf, die sie als schlimm erlebt haben. Eine reicht ihnen meistens und man sieht förmlich, wie sie mit diesem Ritual den Tag verabschieden und zurück in die Hände desjenigen legen, der ihnen diese Frage gestellt hat. „Jetzt wissen Du und ich, was nicht gut gelaufen ist, aber besonders auch, was toll war. Jetzt kann ich schlafen“, sagt mir das Seufzen, mit dem der kleine Lord sich in seinen Stofftierhund kuschelt.

Nicht alles ändert sich. Den Prä-Niederleg-Badezimmer-Streit gibt es nach wie vor manchmal – weil Kinder nun mal nicht unbedingt ins Bett wollen. Ist so. Punkt. Und manchmal kommt er auch als „nicht so gut/das Schlimmste heute“ zur Sprache, weil er natürlich noch sehr präsent ist, wenn er gerade erst vor 10 Minuten stattgefunden hat. Aber an den allermeisten Abenden sprechen wir sowohl beim Guten als auch beim Schlechten von ganz anderen Dingen. Von sehr, sehr klein scheinenden Ereignissen. „Das Beste war, dass wir heute (September) noch eine Himbeere gefunden haben“ oder „dass wir Kinder heute alle am Spielplatz Filly-Ponys waren und alle mitgespielt haben“, „dass Du nicht geschimpft hast, wie ich den Teller runtergeschmissen hab“ – oft kommen da Dinge heraus, die ich entweder gar nicht wusste (und das, obwohl unsere Kinder beide recht große Erzähler sind) oder die mir in der von den Kindern empfundenen Intensität nicht bewusst war. Es macht mich dankbar. Es lehrt mich Demut. Es zeigt, dass man sich den Kampf beim Zuckerlregal ruhig stellen kann – es kam noch nie zur Sprache, dass das der negativste Moment des Tages war, auch wenn man im dem Moment bei den Kindern unten durch war. Es treibt mir oft die Tränen in die Augen. Es bringt mich zum Lachen. Oh, was wir schon gelacht haben über die schönsten Sachen. Es gibt mir die Möglichkeit, „das Schlechte“ oder „etwas nicht so Gutes“ mit einer Umarmung oder einer Erklärung abzufedern.

Insgesamt ist es ein guter Kompass, der uns im worst case lehrt, das Glas zumindest als halb voll zu betrachten. Meistens aber wird einem bewusst, dass man an der sprudelnden Quelle zum eigenen Glück sitzt. Weil Glück im Kopf entsteht.

Foto: pixabay | HeungSoon

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