Muttertag – it grows on you

Die Metamorphose des 2. Sonntags im Mai.
Ein kritischer Artikel zum Muttertag über die Metamorphose dieses Tages von der Mutterhuldigung zur Dankbarkeit.

Ich fand den Muttertag schon als Kind immer blöd. Dieser zweite Maisonntag, an dem man auf Teufel komm raus lieb und gut gelaunt sein musste – und am besten zum Reimen aufgelegt. Mit Blumen in der Hand und einem von Dankbarkeit erfüllten Herzen.

Als Kind war der Tag für mich mit Scham behaftet – wenn ich gut drauf war, blieb die Scham, dass die liebe, wunderbare, geduldige Mama nur an diesem einen Tag verwöhnt wurde. Dass man sie am Vortag angemotzt hatte und es am darauffolgenden Tag wahrscheinlich wieder tun würde.
Wenn ich schlecht drauf war, fühlte ich mich zusätzlich von dem Schuldgefühl in die Ecke gedrängt, an diesem vom Kalenderblatt diktieren Heute-geht’s-um-die-Mama-Tag nicht einfach gut gelaunt sein zu können.

Der Tag der Heuchler

Als Teenager entbehrte der Tag für mich jeder Logik. Die Mutterhuldigung erschien mir als Heuchelei. Wenn ich die Dankbarkeit für die gemachte Wäsche nicht an jedem einzelnen Tag empfand, warum sie dann am zweiten Maisonntag dekorativ in den Schaufenstern platzieren? Und wenn ich sie empfand und mich nach jedem Essen und für jede gewaschene und gebügelte Wäsche bedankte, warum musste ich dann gemeinsam mit den Kindern der Welt kopfüber in den Mutterkult eintauchen? Danke für die Care-Arbeit, die du leistest. Danke, für alles, was du für uns machst. Danke, dass du immer da bist. Einfach mal ein pauschales Danke. Und danke, dass du uns lieb hast.

Das letzte Danke, immer schon eines, das mich den Kopf schütteln lässt. Danke, dass du uns lieb hast. Es ist fast so, als würde ich mich beim Busfahrer dafür bedanken, dass er das Ding nicht in einen Betonpfeiler rammt, bei der Schwimmaufsicht, dass sie mich nicht absaufen lässt, bei der Ärztin, dass sie mein Blutbild auswertet. It’s the job!
Menschen suchen sich nicht aus, ob sie geboren werden wollen. Eltern – Mütter und Väter – machen das. Es ist ihre Wunscherfüllung, ihre Vision für ihr Leben, ihre Selbstverwirklichung. Nicht die des Kindes. Kindern einzudoktrinieren, sie müssten dankbar für die Liebe ihrer Eltern sein, ist so ein krasser Gegensatz zu meinem Anspruch an Elternschaft.

It’s the job!

In den ersten Jahren

In den ersten Jahren als Mama empfand ich ein tiefes Schuldgefühl allen Frauen gegenüber, die an diesem Tag nicht als Mütter gefeiert werden würden, besonders jenen, die sich ihr Leben anders vorgestellt hatten.

Dazu kam die Absurdität, dass mein Mann – so wie tausende Väter im ganzen Land – die Blumen kaufte, das Frühstück orchestrierte und das Windelkind mit dem Blumenstrauß in der Hand zum frühmorgendlichen Besuch am Bett antrat.

In den mittleren Kinderjahren

In den letzten Jahren habe ich sehr mit dem Muttertag gehadert. Lieber als die Blumen wären mit 364 Tage gewesen, an denen ich richtig rum gedrehte Socken im Wäschekorb gefunden hätte. Lieber als die Geschenke wären mit vierzig Wochen gewesen, an denen die Jausenboxen selbstständig aus den Schultaschen geräumt worden wären. Lieber als das Frühstück im Bett wäre mir gewesen, wenn ich am Tag davor – und wahrscheinlich auch am Montag danach – nicht die „blödeste Mama der Welt“ gewesen wäre, weil ich das Licht zu früh ausgeschalten oder das Ende einer gefühlt zehn Euro kostenden Duschorgie verkündet habe.

Lieber als das Frühstück im Bett wäre mir gewesen, wenn ich am Tag davor – und wahrscheinlich auch am Montag danach – nicht die „blödeste Mama der Welt“ gewesen wäre.

Einige Jahre in Folge habe ich gedroht, „den deppaten Muttertag“ abzusagen. Sorry: show’s cancelled! Mein Mann hat dann immer gesagt, dass ich den Kindern den Tag nicht wegnehmen darf, weil er für SIE so wichtig ist. „Well, that sums up the whole problem pretty nicely“, dachte ich. Der Muttertag ist dafür da, dass sich die Familie für den Rest des Jahres reinwaschen kann. Mamas dieser Welt, lasst euch verdammt nochmal zeigen, wie dankbar man ist. Pauschal.

Aber die um Mitternacht noch aufgehängte, weil davor in der Maschine vergessene Wäsche, die noch an der Busstation unterschriebenen Mitteilungshefte, die auf Vorrat gekauften Tintenkiller und Klebstoffflaschen, mit denen die davon fast ausgelösten Sonntagabendkrisen abgewendet werden konnten, die Geburtstagsgeschenke aus Geschenkkörben in Shops, die niemals auf der Route lagen, die sisyphushaft ein- und ausgeräumten Geschirrspülerladungen, die gekauften, gestrichenen und am nächsten Morgen aus der Schultasche geborgenen und damit der Verdammnis ausgelieferten, ungegessenen Jausenbrote blieben unerwähnt. Sie sind im Pauschaldanke erfasst.

Nein, ich mache das alles bei Gott nicht alleine. Wir teilen uns das Geldverdienen und die Care-Arbeit. Da, wo ich mich mehr um Geschenke kümmere, übernimmt er die leidigen Termine rund ums Auto. Die Zeit, die er mehr in der Küche verbringt, verbringe ich Wäsche faltend im Keller. Er bucht die Urlaube, ich sortiere die Steuerunterlagen. Ich kümmere mich um den Garten, er lernt für Matheschularbeiten.

Und trotzdem …

Ich kenne keine Familie, bei der der Vatertag mit der gleichen Gewichtung gefeiert wird. Warum nicht?
Weil Kinder ihren Papas gegenüber nicht so viel Dankbarkeit zu haben brauchen?
Weil Papas die Dankbarkeit nicht so brauchen? Sind nur wir Frauen so jämmerlich? Dann lasst uns das ändern.
Oder ist es doch so, dass Männer weniger für die Familie machen? Dann holt sie in die Verantwortung – ihr Frauen eure Partner, ihr Mütter eure Söhne.
Weil Männer das Lob und die Wertschätzung nicht so sehr brauchen wie Frauen? I beg to differ!
Weil Männer diese Art von Lob und Wertschätzung nicht brauchen? Glaubt ihr, dass fünf Blumen und ein Joghurtbecher mit gepflanzter Kresse für uns so toll sind?
Ich glaube, dass der Muttertag, der ja aus einer völlig anderen Motivation heraus ins Leben gerufen wurde, heute der Hochstilisierung der Mutterrolle dient. Das bringt uns allen nichts Gutes – im Gegenteil. Solange der Vatertag nicht in gleicher Weise gefeiert wird, haben wir eines von zwei Problemen: Entweder sie haben es nicht verdient, dann haben wir ein Verteilungsproblem. Oder sie verdienen die Anerkennung für das Tragen ihrer Hälfte der Load, dann haben wir ein Wertschätzungsproblem.

In den vergangenen, letzten Jahren vor der Pubertät

In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Dinge verändert. Meine Schuldgefühle anderen Frauen gegenüber sind schwächer geworden. Ich habe den Tag nicht erfunden. Ich habe ihn niemandem „angetan“. Ich erlebe und erwarte auch mir gegenüber keine Gewissensbisse für die spontanen Reisen unterm Jahr, die organisationssparsamen Dinner-Dates, die ausgeschlafenen Wochenenden, die faltenlose Kleidung in Cremetönen. Keiner der Wege, die wir beschreiten, ist immer einfach, keiner ein Spaziergang auf einem gesicherten Pfad, keiner die Sonnenscheinroute.
Wir alle haben unsere dunklen, tiefen Täler, unsere grauen Wolken, Regenwahrscheinlichkeit: 99,9 %.

Wir alle haben unsere dunklen, tiefen Täler, unsere grauen Wolken, Regenwahrscheinlichkeit: 99,9 %.

Ich werde aber besser darin, es anzunehmen, dass ich den einen Tag nicht gegen 364-mal richtig rum gedrehte Socken im Wäschekorb und 40 Wochen aus den Schultaschen ausgeräumte Jausenboxen tauschen kann.

Ich werde besser damit, für einen Lebensstil gefeiert zu werden, den ich mir als Selbstverwirklichung eines Lebensplans ausgesucht und einfach auch das Glück gehabt habe, dass er so aufgegangen ist.

Ich werde dankbarer dafür, dass da zwei Menschen sind, die mir ihre Liebe zeigen wollen. Oft. Und besonders an diesem 2. Sonntag im Mai. Ich kann darüber schmunzeln, dass wir den Muttertag nicht für mich, sondern für sie feiern, und es wird mir bewusster, dass wir uns schon bald an einem Wendepunkt wiederfinden werden, an dem ich mir vielleicht genau diesen einen Tag im Jahr wünsche.

Ich lerne, den Muttertag durch andere Augen zu sehen.

Den Augen der Freundin, die sich von ihrer Mama für immer verabschieden musste und die gerade jetzt, im Erwachsenenalter und als Mama so gerne ihre eigene zu manchem befragt und Frieden geschlossen hätte.
Den Augen des Kindes, das jedes Jahr rund um den Muttertag daran erinnert wird, dass seine nie wieder kommt.
Den Augen der Mama, die sich in einem nicht in Worte zu fassenden Schmerz von ihrem Kind verabschieden musste.
Den Augen der Freundin, die im Herzen schon längst Mama ist und mit Sehnsucht darauf wartet, dass sich dieser Wunsch auch für sie erfüllt.
Den Augen der Mama, die in ihrer Rolle aufgeht, und der, die in ihr ertrinkt.

Ich lerne, den Muttertag durch andere Augen zu sehen. (…) Den Augen, der Mama, die in ihrer Rolle aufgeht, und der, die in ihr ertrinkt.

Und den Augen meiner Kinder, die mich anfunkeln, wenn sie am Sonntag ins Zimmer stürmen, wo ich – mich schlafend stellend – ausharren musste, bis das geheime Frühstück fertig ist. Dann gibt es Geschenke, die ich schon beim Elterngespräch in der Schule entdeckt, und eine Karte, die ich beim Ausräumen der Jausenbox in der Schultasche gesehen habe, es gibt wahrscheinlich schon ausgekühlten Kaffee und es gibt Liebe. Die Art, die ich mir damals erhofft habe, als ich mich entschieden habe, Kinder zu bekommen. Mir war früher einfach nicht bewusst, in welcher Währung dafür bezahlt wird, und ich glaube, dafür sollte ich dankbar sein.

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