„Ich habe nichts zum Anziehen“ | Die Godot-Ersatzjeans

"Ich hab nichts anzuziehen!" Was sie meint und er hört. Ein Vermittlungsversuch.
Ich habe nichts zum Anziehen - was Mann hört und was Frau meint.

So gern frau sich gelegentlich mystisch gibt, so schwer fällt es ihr zuweilen, sich klar auszudrücken. Und so ist der sagenumwobene Satz, mit dem sie ihn auf ein tiefschürfendes und akutes Problem hinweisen möchte, eines der größten partnerschaftlichen Rätsel, das es zu lösen gilt, bevor es chronisch wird. Es soll nämlich Frauen geben, die vor einem vollen Kleiderschrank stehen und seufzend, ja geradezu irritiert und entrüstet zugleich, feststellen: „Ich habe nichts zum Anziehen.“

Es verwundert nicht, dass bei Männern, die diesen Satz hören, entweder der Fluchtreflex einsetzt oder sich der Problemlöserkomplex zu Wort meldet. Doch hier ist Vorsicht angebracht: Alles, was er jetzt sagt, wird beim nächsten Schlussverkauf gegen ihn verwendet. Es wäre auch nicht gut, die Thematik nun, da der Satz gerade ausgesprochen wurde, sachlich klären zu wollen, darum rate ich: Man bereite sich jetzt, hier und heute darauf vor. Die nächste Gelegenheit, sich verständnisvoll zu zeigen, kommt garantiert und wer es richtig angeht, wird in die Geschichte eingehen. Das wird dein Triple-A-Rating, dein Stern am Hollywood Walk Of Fame, deine Chance dir Punkte zu verdienen – und du weißt wohl selbst am besten, wann und wo man die einlösen kann.

Damit man sich diese Litanei nicht von einer in Panik geratenen, irrational argumentierenden Freundin oder Frau erklären lassen muss, gebe ich nun die Basics durch. Es sieht nach außen hin so aus, als ob man sich nur für eine Kleidungsstückkategorie – also Hose oder Rock mit Top oder ein Kleid – entscheiden müsste und dem weiblichen Geschlecht die große Bandbreite zugute käme, aber da tickten manche Frauen wie Kinder. Die fragt man auch nicht: „Was willst du essen?“, sondern „Willst du Spinat mit Kartoffeln oder Reis mit Gemüse essen?“
Die Kleiderwahl einer Frau wird von ihrer Stimmung, Trends, aktueller Lebensphase, aktuellem Figurtyp, dem Zustand der Haare, Schön-Tag (begünstigt das Tragen von figurbetonten Outfits) oder Schirch*-Tag (* = hässlich, Männer, was soll ich euch an dieser Stelle noch raten?), Zyklus, zu vermittelnder Botschaft sowie dem Anlass, für den frau sich zu kleiden gerade nicht im Stande sieht und vielen weiteren Subkriterien beeinflusst. Sie erfolgt strategisch. Zufällig passiert hier nichts, denn selbst das Zufallsoutfit ist Resultat entsprechender Weichenstellung: „Ich bin gut drauf, ich fühle mich in allem wohl“ oder „Ich bin schlecht drauf, is‘ eh scho‘ wurscht.“

Ihr wisst ja: Frauen haben von Haus aus mehr Möglichkeiten – Moderechte, wenn man so will, aber auch -pflichten. Ungeschriebene Gesetze. Denn egal ob man es wahrhaben will oder nicht, der Spruch „Kleider machen Leute“ kommt nicht von ungefähr. Frauen, denen die Worte „nichts zum Anziehen“ über die Lippen kommen, haben den Spruch verinnerlicht.

Wer mir nicht glaubt, möge bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit als Antwort auf „Ich hab nichts zum Anziehen“ mit einem Handgriff das nächste Teil aus dem Kasten zu fischen, das er/sie tatsächlich für anlassentsprechend hält:

50:50
Man wird im Sommer einen Rock aus „Wintermaterial“ erwischen.

60:40
Wird man einen Rock in der Hand halten, der eine Nummer kleiner ist, als die Konfektionsgröße, die die Liebste gerade trägt. Warum sie den dann noch hat? Noch nie etwas von Hineinschrumpfen gehört? Das soll totsicher in den nächsten zwei Jahren mit den allmonatlichen 30 Sit-ups zu schaffen sein, meint die Freundin. Man lasse ihr diese Illusion. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.

70:30
Wird man glaubhaft vermittelt bekommen, dass der Schnitt, das Material und/oder die Farbe gerade nicht in sind und man den Rock für die nächste Saison aufhebt. „Schließlich kommt ja alles wieder. Den Rock meiner Mama aus den 70ern trage ich ja auch wieder.“ Man spare sich „Ja, aber nur bei der 70er-Mottoparty.“ Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.

99:1
Man hat den Fehler begangen, sich zuerst anzuziehen. Jetzt muss sie sich dementsprechend bei der Kleiderwahl anpassen.

1:500
Sollte man die Gabe oder das Anfängerglück haben, einen im Grunde passenden Rock erwischt zu haben, dann ist das dazu passende Oberteil in der Wäsche, die Schuhe beim Schuster, das Wetter zu windig, der Farbton zu kess, die zur Verfügung stehenden Accessoires zu wenig modisch oder gerade an die beste Freundin verborgt oder er transportiert nicht die Message des Tages. Sollte man sich fragen, was die Message des Tages sein soll, dann gehe man im Kopf alle wahrscheinlichen Gäste durch und ergänze die Liste um alle noch so unwahrscheinlichen, aber feindlich gesinnten Menschen – Ex-Freunde und -Freundinnen, sowohl romantischer als auch platonischer Natur – und Personen, die es zu beeindrucken oder auszustechen gelten könnte. Die Hauptbotschaft wird zu 98 % lauten: „Ich tue so, als ob ich nur irgendeinen Fetzen in fünf Minuten übergeworfen habe und mein Outfit TOTAL ZUFÄLLIG zusammengewürfelt ist, denn ich bin immer noch soooo XY (man setze hier die Eigenschaft ein, die die Freundin oder Frau in sich selbst am dringendsten sehen möchte) und genau darüber werden heute alle Anwesenden noch beim Einschlafen nachdenken.“ Statt „immer noch“ könnte hier aus „jetzt endlich“ stehen – gefolgt von dünn, knackig, sexy, souverän, schick, sportlich, elegant, Jackie Kennedy (Onassis) …

Manch einer mag nun vielleicht glauben, dass ich scherze oder – schlimmer noch – dass er das Konzept schon verstanden hätte. Stay with me. Stay focused. Man bleibe bei mir, teile sich diesen Blog auf mehrere Portionen auf, ich weiß, er ist in einem Stück schwer zu schlucken, aber man halte durch!

Beispiele aus der Praxis

Die Party

Er hört: „Ich habe nichts zum Anziehen.“
Er sieht: In jedem einzelnen Kleidungsstück eine Möglichkeit.
Was sie meint: „Wir gehen zum ersten Mal seit Wochen aus. Den neuen Rock kann ich nicht anziehen, den habe ich nämlich S. nachgekauft und ihr noch nicht gebeichtet, dass ich jetzt den gleichen Fummel im Kasten hängen habe. Muss ich auch nicht. Ich merke mir einfach auf Lebzeit, dass das der Rock ist, den ich niiie tragen werde, wenn S. auch auftauchen könnte. Ähnliche Regeln gelten für drei andere Unterteile – B. hat erzählt, dass sie in einer Lederhose kommt und ich werde mir doch nicht das eigene Grab schaufeln und auch in einer Lederhose kommen und womöglich neben B. am Buffet stehen, wo man uns nur von hinten sieht und sich jeder denkt, dass ich meinen Teller mal besser nicht so voll machen sollte. Das Kleid da drüben kann ich nicht anziehen, weil ich nicht den richtigen Gürtel habe. Als ich es gekauft habe, trug man einen möglichst dünnen, jetzt sind aber ganz breite in. Ich habe einen breiten Gürtel, aber der passt farblich nicht und der andere ist so synthetisch, dass man extrem drunter schwitzt. Das Kleid bekommt aber schnell Schweißflecken. Und der dritte breite Gürtel ist nicht eng genug. Den habe ich im Abverkauf erstanden, ohne ihn zu probieren. ‚Was soll bei einem Gürtel schon schiefgehen?‘, habe ich mir gedacht. Jetzt weiß ich es. Aber für Final-Sale-Artikel gab es keinen Umtausch.“

Die Fête Blanche

Er hört: „Ich habe nichts zum Anziehen.“
Er sieht: Hier Weiß, da Weiß, dort drüben hängt auch noch was … und denkt: „Da wird man doch was zusammenstellen können!?“
Was sie meint: A. „Ich habe meine Tage, diese bescheuerte Fête Blanche nervt mich ohne Ende!“ B. „Ich habe heute einen Schirch-Tag! Ich bin hässlich und fett und in Weiß sieht man jede meiner Speckrollen und da … schau, wenn ich den Kopf so nach unten gebe, habe ich ein Doppelkinn. Und da hinten … wenn ich mit Daumen und Zeigefinger die ganze Haut an der Hüfte zusammenziehe, dann habe ich Schwimmringe! Und überhaupt: Weiß steht mir nicht! Können wir nicht auf ein Begräbnis gehen? Ich finde Audrey Hepburn sowieso viel besser als Marilyn Monroe.“ C. „Das, was du hier siehst, sind weiße Arbeitsblusen und die hier ist zu durchsichtig. Bei der sind die Pailletten abgegangen, das repariert mir irgendwann irgendwer. Die Hose ist schlecht geschnitten, das Kleid habe ich mir in einem Anflug von Da-schrumpfe-ich-irgendwann-rein-Wahnsinn gekauft. Ende!“

Die Hochzeit

Er hört: „Ich habe nichts zum Anziehen.“
Er sieht: Vier wunderbare Kleider, die im Putzereisackerl hängen.
Was sie meint: „Ich habe diese vier Kleider schon bei allen zwanzig Hochzeiten, die wir in den letzten Jahren besucht haben, angehabt. Jedes Mal habe ich mir überlegt, welches ich bei der Vorgängerhochzeit anhatte und welche Leute mich dort in dem Kleid gesehen haben. Das heißt, ich hatte jedes schon bei fünf Hochzeiten an. Das ging eine Weile ganz gut, aber heute wird wieder im engen Freundeskreis geheiratet und A., D. und J. haben mir erzählt, dass sie in neuen Kleidern kommen. Toll. Ich werde modisch total abkacken.“ Zusätzliche Kriterien für diesen modischen Rubik Cube sind: Müssen die Schultern in der Kirche bedeckt sein? – das schließt das violette aus, denn dazu gibt es keine Jacke. Feiern wir eine Gartenhochzeit in Ballerinas oder dürfen es die Satinabsätze sein? – sonst kann ich das rosafarbene nicht anziehen, denn ich habe keine anderen Schuhe, als die, die nicht ins Gras dürfen. Kommen Kinder, die Metallschnallen oder Klettverschlüsse auf den Schuhen haben und die ich eventuell auf den Knien sitzen lassen muss? – das schließt das grüne mit der schwarzen Spitze aus. Dann bleibt nur mehr das blaue und irgendwie war das schon bei den letzten drei Hochzeiten die Notlösung.

Das Business-Meeting

Er hört: „Ich habe nichts zum Anziehen.“
Er sieht: Den vollen Kasten.
Was sie meint: „Ich war sechs Saisonen in Karenz, schwanger und/oder restfett (und zwar die Art, die man nicht mit einem Katerfrühstück bewältigt, sondern die sich an unterschiedlichen Körperpartien manifestiert). Alles, was neu in den Kasten dazugekommen ist, sind weite, pflegeleichte Basic-Teile. Schon bevor ich mich Kindergeburtstagen, Kinderkrankheiten und sonstigem Kinderallerlei gewidmet habe, hätte mich die „Wienerin“ nicht als Street-Style-Queen abgelichtet.“

Was nun?

Liebe Männer, ihr habt eure Schuldigkeit getan, ihr könnt gehen. Ach, eine Lösung wolltet ihr? Man hole die beste Freundin der Frau ans Telefon und stelle sich als WhatsApp-Fotograf zur Verfügung, nehme die Frau in den Arm oder schicke sie einkaufen. Letzteres hilft aber nur kurzfristig.

Liebe Frauen, denen dieser Satz geläufig ist: Fangen wir beim Grundproblem an: Männer sehen den vollen Kasten. Der logische Schluss ist: „Kein Platz für was Neues.“ Sie verstehen nicht, dass nur 30 Prozent des Kasteninhaltes tragbar sind und die Stücke im Kreis getragen werden, was zu Ermüdungserscheinungen an der Kleidung und der Frau führt. Man sollte sich auch gut überlegen, ob man erzählen möchte, dass alles andere nur eine Platzhalterfunktion erfüllt.

Vielleicht ist es an der Zeit, sich von dem Stapel zu trennen, den man sich aufgehoben hat, weil man sich den Wenn-du-stillst,-geht-das-von-selber-wieder-weg-Optimismus bis zuletzt, also (Hausnummer) 27 Monate nach dem letzten Stillen, bewahrt hat oder sonstigen Schrumpfphantasien oder Ausdehnungsphobien lieber zum gegebenen Zeitpunkt begegnen sollte.

Vielleicht hat euer Partner recht und die Leute schauen heute wirklich vor allem auf die Braut.

Die Idee, „unbedingt mal auf eine Fête Blanche gehen“ zu wollen, … von wem war denn die?

Vielleicht würde sich eine Box auszahlen, in die man alles hineinsortiert, was man derzeit nicht anzieht, weil es zu groß, zu klein, zu hippie, zu gewagt, zu altmodisch, zu Natürlich-kaufe-ich-den-Kimono-auf-meiner-Asientour!-Den-zieh-ich-dann-an,-wenn-ich-wieder-zuhause-bin … ist – kurzum: sich unrund anfühlt. Wurde es zwei Jahre lang nicht herausgefischt und ausgeführt, verabschiedet euch. Frau hat Möglichkeiten: Altkleidersammlungen, Flohmärkte oder Kleidertauschparties. Letztere sind sowas wie sanfter Entzug. Erstens kann man mit etwas „Neuem“ nachhause kommen, ohne Geld auszugeben und ohne dem Irrglauben zu erliegen, das gesamte gewichene Volumen ersetzen zu müssen, weil sich die übrigen Stücke sonst einsam fühlen. Zweitens weiß man dann, dass Freundin A sich mit der durchsichtigen Bluse, die sie sich selbst nie gekauft hätte, extrem heiß und hübsch fühlt und Freundin B mit der Jeans wirklich Freude hat und sie nun nicht mehr als Platzhalter für die Godot-Ersatzjeans herhalten muss.

Einen Versuch ist es wert.

Fun Fact

Wusstet ihr, dass Frauen in Frankreich bis 31. Jänner 2013 gegen das Gesetz verstießen, wenn sie Hosen trugen? Denn per Verordnung aus dem Jahr 1800 waren Frauen verpflichtet das Tragen einer Hose bei der Polizeipräfektur anzumelden. 1892 und 1909 wurde das Gesetz angepasst: Frauen war es seither erlaubt Hosen zu tragen, wenn sie Fahrrad fuhren oder zu Pferd unterwegs waren. Mehr dazu hier.

Die DIY-Bloggerin, SEO-Texterin und Digital Content Creatorin Veronika Fischer aus Wien sagt: "Bis bald."

Titelbild: pixabay | Free-Photos

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